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Emanuel Geibel
Der Bildhauer des Hadrian
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So steht nun schlank emporgehoben |
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Der Tempelhalle Säulenrund; |
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Getäfelt prangt die Kuppel droben, |
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Von buntem Steinwerk glänzt der Grund. |
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Und hoch aus Marmor hebt sich dorten |
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Das Bild des Donnrers, das ich schuf; |
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Du rühmst es , Herr, und deinen Worten |
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Folgt tausendstimm’ger Beifallsruf. |
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Und doch, wie hier vor meinen Blicken |
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Das eigne Werk sich neu enthüllt, |
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Mich selber will es nicht erquicken, |
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Und fast wie Scham ist, was mich füllt. |
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Ob nichts am hohen Gleichmaß fehle, |
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Ob jedem Sinn genug getan: |
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Kein Schauer quillt in meine Seele, |
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Kein Unnennbares rührt mich an. |
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O Fluch, dem diese Zeit verfallen, |
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Daß sie kein großer Puls durchbebt, |
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Kein Sehnen, das, geteilt von allen, |
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Im Künstler nach Gestaltung strebt, |
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Das ihm nicht Rast gönnt, bis er‘s endlich |
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Bewältigt in den Marmor flößt |
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Und so in Schönheit allverständlich |
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Das Rätsel seiner Tage löst! |
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Wohl bänd’gen wir den Stein und küren, |
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Bewußt berechnend, jede Zier, |
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Doch, wie wir glatt den Meißel führen, |
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Nur vom Vergangnen zehren wir. |
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O trostlos kluges Auserlesen, |
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Dabei kein Blitz die Brust durchzückt! |
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Was schön wird, ist schon da gewesen, |
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Und nachgeahmt ist, was uns glückt |
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Der Kreis der Formen liegt beschlossen, |
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Die einst der Griechen Geist beseelt; |
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Umsonst durchtasten wir verdrossen |
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Ein Leben, dem der Inhalt fehlt. |
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Wo lodert noch ein Opferfunken? |
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Wo blüht ein Fest noch, das nicht hohl? |
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Der Glaub’ ist, ach, dahingesunken, |
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Und toter Schmuck ward sein Symbol. |
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Sieh her, noch braun sind diese Haare, |
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Und nicht das Alter schuf mich blaß: |
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Doch gäb' ich alle meine Jahre |
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Für einen Tag des Phidias; |
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Nicht weil des Volks verstummend Gaffen, |
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Der Welt Bewundrung ihm gelohnt; |
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Nein, weil der Zeus, den er geschaffen, |
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Ihm selbst, ein Gott, im Sinn gethront. |
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Das war sein Stern, das war sein Segen, |
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Daß ihn mit ungebrochnem Flug |
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Der höchsten Urgestalt entgegen |
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Der Andacht heil’ger Fittich trug. |
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Er durft‘ im Reigen der Erkornen |
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Voll Glanz noch den Olympos sehn, |
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Indes wir armen Nachgebornen |
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In götterloser Wüste stehn. |
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Da uns der Himmel ward entrissen, |
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Schwand auch des Schaffens himmlisch Glück; |
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Wohl wissen wir’s, doch alles Wissen |
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Bringt das Verlorne nie zurück. |
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Und keine neue Kunst mag werden, |
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Bis über dieser Zeiten Gruft |
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Ein neuer Gott erscheint auf Erden |
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Und seine Priesterin beruft. |